Deutsche Europapolitik


Regieren in einem sich wandelnden Europa: Eine interaktionistische Analyse neuer deutscher (Außen-)Politik in Europa

Ziel des von 2001 bis 2004 von der DFG geförderten Projekts war es, das Wechselspiel zwischen deutscher Außenpolitik und Strukturen europäischen Regierens zu untersuchen und ein analytisches Instrumentarium zu entwickeln, das diesen Prozess nachzeichnen hilft und die Wirkungen auf die längerfristige Entwicklung deutscher Außenpolitik sichtbar macht. Die Ergebnisse zweier Fallstudien zur deutschen Politik auf dem Gebiet der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Flüchtlings- und Asylpolitik waren in ihrer Deutlichkeit frappierend: Über Zeit ließ sich ein sukzessive fortschreitender "Wandel auf leisen Sohlen" erkennen, der aus dem einstigen europapolitischen Vorreiter nicht nur einen integrationspolitischen Nachzügler machte, sondern auch weiterreichende Spuren in der "europäisierten" außenpolitischen Identität Deutschlands hinterlassen hat.



Mitarbeiter des Projekts

Prof. Dr. Gunther Hellmann (Projektleiter)

Monika Bösche, M.A. (DFG-finanziert)

Dr. Wolfgang Wagner, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung(DFG-finanziert)

Benjamin Herborth (wissenschaftlicher Mitarbeiter)

Rainer Baumann (wissenschaftlicher Mitarbeiter)




Projektantrag

Antragstext, eingereicht bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Frühjahr 2001.



Zusammenfassung der Ergebnisse

Mit der fortschreitenden Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik. Ebenso wie die Entwicklung der Strukturen europäischen Regierens nicht ohne Rücksicht auf die nationale Ebene verstanden werden kann, ist deutsche Außenpolitik nicht mehr unabhängig von ihrer europäischen Einbettung zu denken.

Vor diesem Hintergrund hatte es sich das Projekt "Regieren in einem sich wandelnden Europa: Eine interaktionistische Analyse neuer deutscher (Außen-) Politik in Europa" zum Ziel gesetzt, das komplexe Wechselspiel zwischen deutscher Außenpolitik und Strukturen europäischen Regierens am Beispiel der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Asyl- und Flüchtlingspolitik verständlich zu machen. Zu diesem Zweck wurde zunächst ein interaktionistischer Analyserahmen entwickelt, der Elemente aus Außenpolitikanalyse sowie Integrations- und Sozialtheorie integriert, um die handlungsermöglichende Dimension europäischer Strukturen und die strukturbildenden Effekte außenpolitischen Handelns in ihrem Zusammenspiel in den Blick nehmen zu können. Mithilfe dieses Analyserahmens konnten graduelle Transformationsprozesse sichtbar gemacht werden, die für sich genommen nur als unwesentliche Abweichungen tagespolitischer Routinen erscheinen, sich über Zeit allerdings zu grundlegenden Verschiebungen des außenpolitischen Koordinatensystems aggregieren können. Während klassische Modelle außenpolitischen Wandel zumeist entweder deterministisch (als durch Strukturen des internationalen Systems bestimmt) oder voluntaristisch (als Ergebnis strategischer Kalkulationen) begreifen, konnten so insbesondere die indirekten, nicht intendierten Handlungsfolgen erfasst werden, deren Bedeutung unter den Bedingungen des Regierens in komplexen Mehrebenensystemen tendenziell noch zunimmt.

Obwohl das Ziel des Projektes darin bestand, am Beispiel deutscher Europapolitik ein analytisches Instrumentarium zu entwickeln, das einen sukzessive fortschreitenden "Wandel auf leisen Sohlen" sichtbar und erklärbar zu machen, waren die Ergebnisse der beiden Fallstudien in ihrer Deutlichkeit frappierend. Sowohl in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik als auch in der Flüchtlings- und Asylpolitik ist Deutschland von dem europapolitischen Vorreiter der 1980er und frühen 1990er Jahre zu einem integrationspolitischen Nachzügler geworden. In beiden Politikfeldern wurden wesentliche Integrationsprojekte durch Initiativen Deutschlands angestoßen, in beiden Politikfeldern fällt es Deutschland allerdings auch zunehmend schwer, jene Erwartungen zu erfüllen, zu deren Entstehung es maßgeblich beigetragen hat. Dabei ist augenfällig, dass es sich nicht um bloß situative Positionsverschiebungen handelt, da die zentralen Wendepunkte in beiden Fallstudien vom Regierungswechsel auf Bundesebene 1998 unabhängig sind. Während sich in der Asyl- und Flüchtlingspolitik eine deutliche Wende bereits auf dem Amsterdamer Gipfel von 1997 vollzog, setzte der Wandel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erst später und deutlich langsamer ein.

Gerade weil außenpolitischer Wandel sich aber nicht mit der Notwendigkeit und Plötzlichkeit vollzieht, die etwa aus der Perspektive eines machtpolitischen Realismus zu erwarten wäre, so ein zentrales Ergebnis des Projekts, konnte unter den Bedingungen institutioneller Einbettung, europäisierter Identität und einer "Kultur der Zurückhaltung" ein Prozess der schleichenden Enteuropäisierung deutscher Außenpolitik in Gang gesetzt werden.



Publikationen

Hellmann, Gunther (Ed): "De-Europeanization by Default? Germany's EU Policy in Defense and Asylum", im Erscheinen bei Palgrave Macmillan in der Reihe "New Perspectives in German Studies".)

darin:

  • Wagner, Wolfgang/Baumman, Rainer/Bösche, Monika/Hellmann, Gunther: German Foreign Policy in Europe: An Interactionist Framework of Analysis.
  • Bösche, Monika: Trapped inside the European Fortress? Germany and European Asylum and Refugee Policy.
  • Wagner, Wolfgang: Missing in Action? Germany's Bumpy Road from Institution-Building to Substance in European Security and Defense Policy.
  • Hellmann, Gunther: Lamed Power. Germany and European Integration.

Hellmann, Gunther/Baumann, Rainer/Bösche, Monika/Herborth, Benjamin/Wagner, Wolfgang: De-Europeanization by Default? Germany's EU Policy in Defense and Asylum, in: Foreign Policy Analysis 1: 1, 143-164.

Herborth, Benjamin: Die via media als konstitutionstheoretische Einbahnstraße. Zur Entwicklung des Akteur-Struktur-Problems bei Alexander Wendt, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 11: 1 (2004), 61-87.

Schimmelfennig, Frank/Wagner, Wolfgang: Preface: External Governance in the European Union, in: Journal of European Public Policy 11: 4 (2004), 665-668.

Wagner, Wolfgang/Knodt, Michele/Schimmelfennig, Frank: Auswärtiges Regieren in der Europäischen Union. Ein Tagungsbericht, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 11: 1 (2004), 147-154.

Wagner, Wolfgang: Why the EU's Common Foreign and Security Policy Will Remain Intergovernmental: a Rationalist Institutional Choice Analysis of European Crisis Management Policy, in: Journal of European Public Policy 10: 4 (2003), 576-595.

Wagner, Wolfgang: "Europäisierte Außenpolitik?" Rezension zu Axel Lüdeke: 'Europäisierung' der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik? Konstitutive und operative Europapolitik zwischen Maastricht und Amsterdam, 507 S., Leske + Budrich, Opladen 2002, in: Neue Politische Literatur 48: 1 (2003), 175-176.

Hellmann, Gunther: Deutschland in Europa: Eine symbiotische Beziehung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. B48 (2. Dezember 2002), S. 24-31.

Wagner, Wolfgang/Hellmann, Gunther: Zivile Weltmacht? Die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union, in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hrsg.): Europäische Integration, 2. Aufl. Opladen: Leske + Budrich 2003, 569-596.

Wagner, Wolfgang: Europäische Kollateralschäden. Zur Zukunft der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach dem Irak-Krieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 31-32/2003, 31-38 (zusammen mit Matthias Dembinski).


Konferenzbeiträge im Kontext des Projekts

Bösche, Monika/Hellmann, Gunther/Wagner, Wolfgang: Towards an Interactionist Model of Analysis, Paper Presented at the 44th Annual Convention of the International Studies Association in Portland, February 25th to March 1st, 2003.

Bösche, Monika: Trapped inside the European Fortress? Germany and the European Union Asylum and Refugee Policy, Paper Presented at the 44th Annual Convention of the International Studies Association in Portland, February 25th to March 1st, 2003.

Hellmann, Gunther: Creative Intelligence. Pragmatism as a Theory of Thought and Action. Paper prepared for presentation at the "Millennium" Special Issue Conference on "Pragmatism in International Relations Theory", London, 12 October 2002.

Herborth, Benjamin: Challenging Anarchy. Pragmatist Perspectives on the Agent-Structure problem in the theory of Alexander Wendt, Paper Presented at the 44th Annual Convention of the International Studies Association in Portland, February 25th to March 1st, 2003.

Wagner, Wolfgang: "Renationalisation by Default? Germany's Mounting Gap between Symbolism and Substance in European Security and Defense Policy", 5. Pan-European International Relations Conference des European Consortiums for Political Research, Den Haag, 9.-11.September 2004.

Wagner, Wolfgang: "Renationalisation by Default. Germany's Mounting Gap between Symbolism and Substance in European Security and Defense Policy.", Tagung EU Governance and External Relations, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung; 10./11. Oktober 2003.

Wagner, Wolfgang: Missing in Action? Germany's Bumpy Road from Symbolism to Substance in European Security and Defense Policy, Paper Presented at the 44th Annual Convention of the International Studies Association in Portland, February 25th to March 1st, 2003.

Wagner, Wolfgang/Baumann, Rainer/Hellmann, Gunther: Agents, structures, and German foreign policy after unification: from metatheory to empirical enquiry. Frankfurt am Main, 2001.