Soziologische Lehrveranstaltungen

von Felicia Herrschaft

Dass Theodor W. Adorno als Philosoph eine Theorie der Gesellschaft ausgearbeitet hatte, ist nicht nur in Frankfurt ein Allgemeinplatz. Dass er diese Theorie der Gesellschaft vornehmlich im Rahmen seiner soziologischen Lehrtätigkeit entwickelte, wurde dagegen bisher so gut wie nicht wahrgenommen. In dem von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsprojekt konnte diese Lücke nun endlich geschlossen werden. Ausgewertet wurden erhalten gebliebene Unterlagen von soziologischen Lehrveranstaltungen, die im Frankfurter Universitätsarchiv, im Horkheimer-Nachlass des Archivzentrums der Universitätsbibliothek Frankfurt, im Archiv des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und im Theodor W. Adorno-Archiv in Frankfurt und Berlin aufbewahrt worden sind und die nun anhand einer umfassenden Bestandsliste der Forschung zugänglich gemacht wurden.

Hierbei kommen den von Adorno im Zeitraum von 1954-1968 an der Philosophischen Fakultät und am Institut für Sozialforschung durchgeführten soziologischen Lehrveranstaltungen eine besondere Bedeutung zu. Denn diese sind nicht nur am besten und umfassendsten dokumentiert, sondern sie erlauben aufgrund der erhalten gebliebenen Mitschriften, Protokolle und Referate einen umfassenden Überblick über Adornos seminaristische Arbeitsweise, die eine wertvolle Ergänzung zu den inzwischen bereits veröffentlichten Tonbandaufzeichnungen seiner soziologischen Vorlesungen darstellen. Als eine kleine Sensation kann dabei die Entdeckung einer fast vollständig erhalten gebliebenen und von ihm offensichtlich autorisierten Mitschrift seiner Einführung in das von ihm im Sommersemester 1961 veranstalteten Hauptseminar „Probleme der qualitativen Analyse“ gewertet werden. Zeigt sie doch, wie früh an der Goethe-Universität die qualitative Sozialforschung eine Heimstätte gefunden hatte, die später unter anderem in Gestalt der Objektiven Hermeneutik weiterentwickelt worden ist und die heute als Markenzeichen der Frankfurter Soziologie zählt. Aber auch von den an der Frankfurter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät durchgeführten Lehrveranstaltungen liegen entsprechende Materialien vor. Zusammen ermöglichen sie uns einen Einblick in die Lehrtätigkeit von Theodor W. Adorno, Egon Becker, Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Christina Herkommer, Ludwig von Friedeburg, Helge Pross, Klaus Schönbach, Manfred Teschner, Alfred Bellebaum, Julius Kraft, Hans Gerth, Karl Ulrich Mayer, Thomas Luckmann, Friedrich H. Tenbruck, Dieter Prokop, Walter Rüegg, Wolfgang Zapf und anderen Soziologinnen und Soziologen, die im Berichtszeitraum an der Universität Frankfurt Lehrveranstaltungen durchgeführt haben. 

Anlaß dieses Forschungsprojektes war die Entdeckung eines umfangreichen Archivbestandes in einem Lagerraum der Bibliothek des Frankfurter Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften. Zwar hatte Alex Demirovic bereits 1989 auf die Existenz von Lehrmaterialien Theodor W. Adornos im Max Horkheimer-Nachlaß der Stadt Frankfurt aufmerksam gemacht, wobei es sich mit einer Ausnahme um Duplikate der neu gefundenen Archivbestände handelt, die in Form von Microfiches aufbewahrt worden sind. Jedoch sind diese Bestände in der bisherigen Adorno-Forschung nicht wahrgenommen geschweige den ausgewertet worden. Zusammen mit weiteren Funden, die im Rahmen dieses Forschungsprojektes gemacht wurden, ist nun die soziologische Lehrpraxis an der Goethe-Universität im Zeitraum von 1949 bis 1973 umfassend dokumentiert und der Forschung zugänglich gemacht worden.

Die entsprechende Bestandsliste ist unter folgendem Link zugänglich:http://wiki.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/SOZFRA/index.php?title=Soziologische_Lehrveranstaltungen_von_1949-1973_-_Archivbestaende_der_Goethe-Universitaet_Frankfurt