von Jens Koolwaay

Die Magisterarbeit stellt den anspruchsvollen Versuch dar, Karl Mannheims beeindruckende Karriere in der Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland vor dem Hintergrund der disziplinären Institutionalisierung der Soziologie in der Weimarer Republik zu rekonstruieren und wissenschaftssoziologisch zu erklären. Theoretischer Bezugrahmen seiner Arbeit ist dabei der feldtheoretische Ansatz von Pierre Bourdieu sowie dessen Unterscheidung von verschiedenen Kapitalarten, wobei für die Analyse des wissenschaftlichen Feldes die Akkumulation von reinem (intellektuellem Kapital) und das „institutionelle Kapital“ von zentraler Bedeutung sind. Koolwaay vertritt dabei die Theorie, daß Mannheims Karriere durch eine „reziproke Dynamisierung von reinem und institutionellem Kapital (S. 5) gekennzeichnet sei und vom Nationalsozialismus vorzeitig beendet wurde, bevor seine institutionellen Erfahrungen als soziologischer Lehrstuhlinhaber in Frankfurt am Main ihm einen neuen Höhenflug bezüglich der Akkumulierung von intellektuellem Kapital ermöglicht hatte. Folgerichtig – so läßt sich schließen – sind seine Schwierigkeiten, sich im Londoner Exil als einer der führenden Köpfe der britischen Soziologie durchzusetzen, durch seine unterbliebene bzw. erst sehr spät erfolgte institutionelle Einbindung in das britische Universitätssystem zu erklären.

Die Arbeit ist in zwei große Teile untergliedert. Ausgehend von Bourdieus Theorie des wissenschaftlichen Feldes werden zunächst die für die Weimarer Soziologie zentralen Scharniere für eine „institutionelle Verdichtung“ dieser Disziplin beschrieben, um anschließend Karl Mannheims intellektuelle Entwicklung sowie seine akademische Karriere im Rahmen dieser Konstellation darzustellen. Als Knotenpunkte für die Beschreibung des soziologischen Feldes der Weimarer Republik werden dabei die einzelnen sozialwissenschaftlichen Fachgesellschaften, die zu dieser Zeit existierenden soziologischen Paradigmen, die zentralen sozialwissenschaftlichen Zeitschriften sowie die entsprechenden Einrichtungen von soziologischen Lehrstühlen an den reichsdeutschen Universitäten im Zeitraum von 1919-1933 berücksichtigt und dort unter souveräner Verwendung der entsprechenden Sekundärliteratur plausibel beschrieben. Koolwaay geht in diesem Zusammenhang auch auf die Eigenheiten des soziologischen Feldes an der Stiftungsuniversität Frankfurt ein, die vor der nationalsozialistischen Machtergreifung nicht nur die meisten Dozenten mit einem soziologischen Lehrauftrag besaß, sondern in Gestalt des Instituts für Sozialforschung über eine sich ebenfalls einer Stiftungsinitiative verdankende Forschungseinrichtung von nationaler Bedeutung verfügte. Koolwaay schildert in diesen Zusammenhängen auch die besonderen Umstände der Berufung von Mannheim nach Frankfurt, die sich vor allem dem Engagement des damaligen Kurators Kurt Riezler verdankte (S. 39ff.).

Im zweiten Teil der Arbeit wird die Karriere von Karl Mannheim nachgezeichnet, wobei Koolwaay sinnvollerweise zwischen dessen Heidelberger und der Frankfurter Zeit unterscheidet (S. 45ff.). Es wird dabei deutlich gemacht, daß Mannheims Zuwendung zur Soziologie in Heidelberg erfolgte und daß die Grundlagen der von ihm vertretenden Richtung der modernen Wissenssoziologie von ihm geschaffen worden sind. Koolway macht dabei in souveräner Weise deutlich, daß die Wissenssoziologie nur einen Teil von Mannheims Schaffen darstellt, auch wenn dieser für seine Karriere Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre von entscheidender Bedeutung war. Er beschreibt dabei die allmähliche Herauslösung von Mannheim aus der Philosophie und zeigt auf, welche Bedeutung die Rezeption von und die Auseinandersetzung mit den Werken von Dilthey, Troeltsch, Scheler sowie Max und Alfred Weber war. Im Rahmen der ausgeprägten Streitkultur der Weimarer Republik war es insbesondere die 1929 unter dem Titel „Ideologie und Utopie“ erschienene Aufsatz-Sammlung, die Mannheim auf einen Schlag als einen führenden Intellektuellen seiner Zeit berühmt gemach hat und die ihm den Ruf auf einen der raren soziologischen Lehrstühle der Weimarer Republik beschert hat.

Obwohl Mannheim nur drei Jahre als Hochschullehrer in Frankfurt wirken konnte, macht Koolwaay deutlich, welch unglaubliches Potential mit dieser Konstellation verbunden war. Zum einen gelang es Mannheim, daß im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen ein „Seminar für Soziologie“ eingerichtet wurde, das über einen eigenen Etat und eine eigene Bibliothek verfügte, dem er als Direktor vorstand. Zum anderen konnte Mannheim aufgrund seiner institutionellen Stellung jetzt seine Wirkung als Hochschullehrer zur vollen Entfaltung bringen und einen Kreis von Schülern um sich sammeln, der unter anderen Voraussetzungen die Grundlage für eine „Mannheim-Schule“ hätte bilden können. Erwähnt werden ferner die Kooperationen mit anderen Kollegen sowie seine editorischen Aktivitäten in Frankfurt am Main. Auffallend ist dabei jedoch, daß Mannheim im Rahmen der DGS keine seiner intellektuellen Bedeutung entsprechende Stellung einnahm, auch wenn man ihm 1932 die Organisation der Frankfurter Dozententagung überantwortete, bei der um die „Lehrgestalt“ der Soziologie gestritten wurde und Mannheim selbst einen pointierten Standpunkt vertrat, der auch heute noch als diskussionswürdig gelten darf (S. 65ff.).

Deutlich gemacht wird auch, daß sich Mannheim zwischen 1930-1933 in einer Umbruchsphase befand, die ihn zunehmend von der Wissenssoziologie hin zu einer „allgemeinen Soziologie“ führte, die noch einen stark experimentellen Charakter besaß und ihn auch zu einer stärkeren Hinwendung zu den Methoden der empirischen Sozialforschung motivierte. Allein dem Scheitern Mannheims, für seine diesbezüglichen Absichten eine finanzielle Unterstützung durch die Rockefeller Foundation zu erhalten, ist es offensichtlich zu verdanken, daß Mannheims Hinwendung zur empirischen Sozialforschung auf halber Strecke stehen blieb (S. 73ff.).