G7-Treffen: Politikwissenschaftler und ihre Erwartungen

ProfessorInnen des Instituts über Internationale Ordnungspolitik, entwicklungspolitische Perspektiven und den Protest auf der Straße

Veröffentlicht am: Montag, 08. Juni 2015, 09:21 Uhr (08-01)

FRANKFURT. Am 7. und 8. Juni blickt die Welt nach Schloss Elmau – zum Gipfel der großen Sieben, dem informellen Gremium, das sich vom Wirtschaftstreffen zum Forum für weltpolitische Fragen entwickelt hat. Was erwarten PolitikwissenschaftlerInnen der Goethe Universität von diesem Gipfel, wo setzt ihre Kritik an?

Direkt im Anschluss an den G7-Gipfel findet am 8. und 9. Juni in Berlin die Tagung „200 Jahre Konferenzdiplomatie: Vom Weiner Kongress zu G7“ statt, die der Frankfurter Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christopher Daase von der Goethe-Universität maßgeblich organisiert hat. Dort treffen sich Wissenschaftler und Praktiker aus Politik und Diplomatie. Ziel ist es, mögliche Lehren sowohl aus der Geschichte des Wiener Kongresses als auch den Erfahrungen der G6-, G7- und G8-Treffen für die Bewältigung gegenwärtiger Herausforderungen von Außen- und Sicherheitspolitik in einer multipolaren Welt zu diskutieren.

Im Folgenden einige Statements der Frankfurter Expertinnen und Experten:

Internationale Ordnungspolitik, Prof. Dr. Christopher Daase, Politikwissenschaftler, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“

(E-Mail: daase@normativeorders.net, Kontaktaufnahme nur per Mail möglich)

„Die G7 hat sich als eine zunächst wirtschaftspolitisch orientierte Diskussionsrunde zwischen sechs Staatschefs (G6) zu einer Gruppe von sieben westlichen Staaten entwickelt (G7), die in regelmäßigen Abständen zentrale Fragen internationaler Ordnungspolitik erörtert, zeitweise sogar mit Russland (G8). Dabei ist es der G7 gelungen, nicht nur auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen (wie z.B. den internationalen Terrorismus) zu reagieren, sondern sich auch an Machtverschiebungen im internationalen System anzupassen und diesen Wandel mitzugestalten. Im Grunde ist die Geschichte der G6/7/8 eine Geschichte informellen Wandels, der sowohl durch die Erweiterung ihrer Mitgliederzahl als auch die Versuche gekennzeichnet ist, auf die wachsenden Ansprüche aufstrebender Mächte mit Dialog-Angeboten einzugehen. Nicht zuletzt wegen der Reform-Blockade in der UNO hat sich die G7 als zentrale, relativ informelle Institution der Weltpolitik etabliert, von der zwar keine handfesten Entscheidungen zu erwarten sind, aber doch Hinweise darauf, wie die führenden Mächte des Westens die aktuellen Krisen der Weltpolitik lösen wollen."


Entwicklungspolitik, Prof. Dr. Uta Ruppert, Politikwissenschaftlerin

(E-Mail: ruppert@soz.uni-frankfurt.de, Tel. (069) 798 36648 oder mobil 0177 8665649)

„Entwicklungspolitik findet heute mehr denn je in einer multipolaren, transnationalen Welt statt, in der die G7 nur noch eines von mehreren Machtzentren darstellt. Neue Süd-Süd-Partnerschaften und auch einzelne Akteure wie China, Indien und Brasilien gewinnen in letzter Zeit enorm an Bedeutung. Als Entwicklungs- und Afrikaforscherin untersuche ich solche Entwicklungen – und zwar im Zusammenhang des vom Bundesforschungsministerium finanzierten Verbundprogrammes AFRASO (‚Afrikas Asiatische Optionen‘). Unsere bisherigen Ergebnisse belegen, dass politische Forderungen an die G7, wie sie von Nichtregierungsorganisationen wie Misereor erhoben werden, in die richtige Richtung weisen: Der Selbstanspruch der G7, in unserer globalisierten, transnationalisierten Welt eine besondere ‚Wertegemeinschaft‘ zu repräsentieren, erfordert vor dem Hintergrund anhaltender weltweiter Ungerechtigkeit vor allem klare Gerechtigkeitsziele zu definieren und konkrete politische Maßnahmen zu deren Umsetzung zu vereinbaren. Die G7 sind Hauptprofiteure der Globalisierung und gleichermaßen Hauptverursacher der Weltprobleme, die sie in Elmau zu lösen suchen. Bedrohungen des Weltklimas, inhumane Arbeitsbedingungen entlang der Produktions- und Lieferketten sämtlicher Handelsgüter, Fluchtkatastrophen oder Ernährungskrisen, gerade auch in Afrika, sind untrennbar mit der transnationalen kapitalistischen Lebens- und Arbeitsweise verbunden. Ich erwarte deutliche politische und finanzielle Antworten auf die großen Probleme der Weltentwicklung von dem G7-Gipfel.


Proteste gegen G7-Gipfel, Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“

(E-Mail: nicole.deitelhoff@normativeorders.net, Kontaktaufnahme nur per Mail möglich) 

„Aller Voraussicht nach wird auch das G7-Treffen in Schloss Elmau massive zivilgesellschaftliche Proteste anziehen. Nach Jahren der Konfrontation auf solchen Gipfeln erscheinen diese wie eine gut einstudierte Choreographie. Die Ordnungskräfte rufen zu friedlichen Protesten auf, definieren Sicherheitszonen und -korridore und die Protestierenden beklagen die allgegenwärtige Repression und punkten mit phantasievollen Protestzügen und aufwändigen Formationen. Fast könnte man das Ganze für eine große Inszenierung halten, ein farbenfrohes, routiniertes Spektakel ohne große politische Substanz. Eine solche Einschätzung greift aber zu kurz, denn jenseits aller Professionalisierung und Inszenierung ist der Protest im Kern Ausdruck politischen Widerstands. Letztlich geht es nach wie vor um handfeste politische Auseinandersetzungen: Mit welchem Recht dürfen die G7 globale Regeln setzen? Wer definiert globale Probleme, wer die Lösungsoptionen, wer darf teilhaben an der Regelsetzung, und – nicht zuletzt – gibt es politische Alternativen zum gegenwärtigen kapitalistischen System? Wer solchen Protesten, wie dies jüngst immer öfter in Politik und Medien geschieht, die politischen Kompetenz abspricht (Stichwort TTIP), trägt letztlich mit dazu bei, dass sich die Protestierenden weiter von den politischen Institutionen entfremden.“