Zurück in die Zukunft?

Der Exzellenzcluster »Normative Orders« schaute bei seiner Jahreskonferenz auf das Zusammenspiel von Revolution, Reaktion und Restauration

Veröffentlicht am: Montag, 11. Februar 2019, 15:18 Uhr (11-03)

Der Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ veranstaltete seine 11. Internationale Jahreskonferenz zum Thema „Revolution, Reaktion, Restauration: Umbrüche normativer Ordnungen“. In der Geschichte der Moderne hat sich die Abfolge häufig als eine Art Kreislauf dargestellt: Auf eine Revolution folgt die Reaktion. Wenn der krisenhafte Widerstreit aus Revolution und Reaktion entschieden ist, gibt es eine Restauration als längerfristige Phase der Konsolidierung von Herrschaftsverhältnissen. Die Analyse dieses Dreiklangs und der einzelnen Begriffe, die sich beim näheren Hinsehen gar nicht so leicht voneinander abgrenzen lassen, stand im Mittelpunkt der beiden Konferenztage im Gebäude „Normative Ordnungen“ auf dem Campus Westend. „Es kommt auch auf die normative Perspektive an, welche Begriffe jeweils verwendet werden“, sagte Klaus Günther, Co-Sprecher des Clusters, zum Auftakt der Konferenz. Ausdrücke wie „konservative Revolution“ ließen darauf schließen, dass es nicht zuletzt vom Standort des Betrachters abhängig sei, ob etwas als Revolution, Reaktion oder Restauration verstanden werde. Autoritäre Staaten und Bewegungen versuchten, so Günther, mit einer Rückkehr zur Vergangenheit eine auf die Zukunft bezogene Politik zu machen. „Take back control“ sei eines der typischen Schlagworte, mit denen an eine angeblich bessere Zeit angeknüpft werde.

Spruch und Widerspruch

Die diesjährige Keynote hielt Jan-Werner Müller, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Princeton University. Dessen Fachkollege Rainer Forst, Co-Sprecher des Clusters, bezeichnete ihn als einen der einflussreichsten politischen Theoretiker der Gegenwart, vor allem auch, was seine Analyse des Populismus angehe. In seinem Vortrag „Democracy and Disrespect“ plädierte Müller dafür, populistischen Politikern und besonders ihren Wählern nicht per se mit Ausgrenzung zu begegnen. Das sei nur Wasser auf die Mühlen von Populisten und bediene deren Lamento, wonach die Eliten sie ohnehin geringschätzten. Die von populistischer Seite zu hörende Aussage „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ sei Quatsch. Man dürfe, so Müller, prinzipiell alles sagen, müsse dann aber mit Gegenwind rechnen. Widerspruch sei noch keine Missachtung. Die drei Panels der Konferenz umfassten insgesamt neun Vorträge. Dirk Jörke, Professor für Politische Theorie an der TU Darmstadt, sprach in seinem Beitrag von einem „blinden Fleck in der liberalen Populismuskritik“. Ein angemessenes Verständnis der „populistischen Revolte“ werde dadurch verhindert. Es gelte, die sozio-ökonomischen Spaltungslinien stärker zu berücksichtigen. Das Panel, in dem Jörke für Allianzen warb, in denen wirtschaftlich-soziale Aspekte nicht gegen kulturelle Gesichtspunkte ausgespielt würden, wurde durch philosophische Blicke auf Umbrüche ergänzt. Was hielt Kant von Revolutionen? Seine Haltung war „äußerst ambivalent“, so Sofie Møller, Postdoktorandin des Clusters. Einerseits geradezu Fan der Französischen Revolution, wollte er andererseits Umstürze, zumal gewaltsame, nicht gutheißen. Vielleicht hätte sich Kant heute Dirk Jörke angeschlossen und für eine „sozialdemokratische Einhegung des Kapitalismus“ eingesetzt. Dass man Revolution auch anders sehen kann als auf den eigentlichen Umsturz verengt, verdeutlichte Christoph Menke, Philosophieprofessor und Mitglied des Clusters: „Die Revolution ist nicht der Akt oder das Ereignis zwischen einer alten und einer neuen Form.“ Und: „Nur eine Revolution, die immer weitergeht, war eine oder wird eine geworden sein. “Ein weiteres Panel beleuchtete Implikationen des Tagungsthemas in Bezug auf internationale politische und rechtliche Verflechtungen. Benno Teschke analysierte die mit dem Stichwort „Pax Britannica“ verbundene geopolitische Strategie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei zeigte der Professor für Internationale Beziehungen an der University of Sussex, dass Großbritannien nach innen liberalen Ideen offenstand, während es in der Außenpolitik restaurative Tendenzen auf dem europäischen Kontinent unterstützte.

Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Backlashes

Über die Umbrüche in der europäischen Menschenrechtsordnung sprach Armin von Bogdandy, Mitglied des Clusters und Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht in Heidelberg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe nach der Friedlichen Revolution und dem Fall des Eisernen Vorhangs viele mittel- und osteuropäische Staaten auf ihrem Weg zu rechtsstaatlichen Demokratien begleitet. Angesichts der wachsenden Zahl von autoritären Staaten in Europa müsse eine seiner Strategien nun darin bestehen, in diesen Staaten die demokratischen Kräfte zu unterstützen. Hilfestellungen können auch in die andere Richtung wirksam werden. Das zeigten Ximena Soley und Silvia Steininger, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Heidelberger MPI, in ihrem Beitrag mit einem Fokus auf den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Je mehr Unterstützung der Gerichtshof von progressiven Kräften aus den Mitgliedsstaaten erhalte, desto größer sei seine Widerstandsfähigkeit gegen einen Autoritätsverlust und desto geringer sei auch die Gefahr eines „Backlash“, verstanden als grundsätzliche Kritik an liberalen Errungenschaften. Einen solchen Fall habe es mit dem Austritt Venezuelas aus der Organisation Amerikanischer Staaten erst einmal gegeben.

Zu Beginn des abschließenden Panels blickte Gudrun Gersmann, Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln, rund 200 Jahre zurück in die Zeit, als die Bourbonen nach Frankreich zurückgekehrt waren. Die Historikerin rekonstruierte am Beispiel der ambivalenten „Erinnerungspolitik“ der Restauration, wie die französische Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts die Erfahrungen der Französischen Revolution zu verarbeiten versuchte. Die Krönungszeremonie Ludwig XVIII. geriet, so Gersmann, zur „Anklage“ gegenüber der Revolution. Die Gesellschaft blieb weitgehend unversöhnt.

Islam zwischen Revolution und Restauration

„In gewisser Hinsicht sind die islamischen Revolutionen, von denen ich spreche, auch Restaurationen, weil sie sich auf einen idealen Zustand in der Vergangenheit beziehen“, sagte Susanne Schröter vom Exzellenzcluster über ihre Analyse der Ereignisse in Teilen Syriens und des Iraks in der jüngsten Zeit und im Iran gegen Ende der 1970er-Jahre. Während es jedoch der „Islamische Staat“ nie zu einem real existierenden Staatswesen gebracht habe, gebe es seit 1979 die Islamische Republik Iran. Die Ethnologieprofessorin betonte, dass es in der Geschichte der islamischen Welt auch immer wieder starke emanzipatorische und säkulare Strömungen gegeben habe. Träger der aktuellen Massenproteste im Iran sei die Vorstadt- und Landbevölkerung, eine Bevölkerungsgruppe, die vor 30 Jahren maßgeblich zum Umsturz beigetragen hatte. Manch einer mag sich bei den Auftritten Donald Trumps an ein schlechtes Bühnenstück erinnert fühlen. Und in der Tat könnte es erhellend sein, die Rhetorik und die Selbstdarstellung des amerikanischen Präsidenten mithilfe der Theater- und Literaturtheorie zu untersuchen. Das tat Jason Mast, Kultursoziologe und Postdoktorand des Clusters, im letzten Konferenzbeitrag. Zum einen gefalle sich Trump als romantischer Held und Retter, zum anderen verwende er apokalyptische Inszenierungen, in denen viel von Gut und Böse und dem Kampf gegen einen drohenden Untergang die Rede ist. Es stehe zu befürchten, so Mast, dass diese Darbietungen als Rechtfertigungsnarrative für rückwärtsgewandte Politik auch weiterhin ihr Publikum finden.

Zum Beitrag in Uni-Report (S. 21)