Lehrforschungsprojekt Visuelle Soziologie "Stadtkontraste"

Visuelle Soziologie

Zur Forschungsrichtung (PDF):

Wieso Visuelle Soziologie?


Lehrforschungsprojekt "Stadtkontraste"

Projektbeschreibung (PDF):

Stadtkontraste - ein Lehrforschungsprojekt zum fotografiebasierten Lernen, Forschen und Dokumentieren


Ausstellung "Stadtkontraste"

Analoge Ausstellung "Stadtkontraste" im SoSe 2018

Im Rahmen von "Stadtkontraste", einem Lehrforschungsprojektes der Visuellen Soziologie, wurde im SoSe 2018 eine gleichnamige analoge Ausstellung abgehalten. Die Studierenden, welche über zwei Semester an jeweils eigenen Projekten gearbeitet hatten, stellten vom 12. Juni bis zum 20 Juli. im Foyer des PEG-Gebäude der Goethe-Universität gemeinsam mit Frau Dr. Silvia Krömmelbein eine Auswahl der Ergebnisse des gemeinsamen Gesamtprojektes "Stadtkontraste" aus.

Digitale Ausstellung "Stadtkontraste"

Die Auswahl der Bilder und Bildtexte, aus welchen die analoge Ausstellung zusammengesetzt war, kann nun im Rahmen einer digitalen Rekonstruktion rezipiert werden. Diese digitale Virtualisierung der Ausstellung "Stadtkontraste" ermöglicht auf jene einen digitalen Rückblick nach ihrem analogen Ende.

Bildergalerie "Stadtkontraste" (mobile Version)

Einführungsplakat zum Selbstverständnis der fotografischen Arbeiten


Stadtinszenierung

Die beiden Bilder, welche den Vorplatz des Hauptbahnhofes und des Rathauses zeigen, sind unter dem Thema der Stadtinszenierung aufgenommen worden.
Wenn Bilder von Frankfurt im Internet gesucht werden, so sind üblicherweise die Bankentürme der Skyline und historische Gebäude unter „idealen“ Lichtverhältnissen und ohne Menschen zu sehen. Die mediale Inszenierung zeigt Frankfurt als dynamische, wettbewerbsfähige und saubere Metropole mit historischen Wurzeln und blendet damit Lebensrealitäten in dieser Stadt aus.
Das erste Bild zeigt die Fassade des Rathauses mit einem Baugerüst und dem Commerzbank-Turm im Hintergrund. Es imitiert durch Motivauswahl und Belichtung die städtische Selbstinszenierung und kontrastiert diese mit der räumlichen Einbettung des historischen Gebäudes in städtebauliche Umstrukturierungen.
Im zweiten Bild sticht die Werbung des Sightseeing-Tour-Busses ins Auge, der eben diese Attraktionen anfährt und die Selbstinszenierung der Stadt zu bestätigen sucht. Doch die Realität des Bahnhofsviertels ist vielschichtiger. Die aufgenommene Szenerie spricht dabei für sich.

Ein Beitrag von: Friedrich Leo Klingmann


Tauschwert und Gebrauchswert



Diese beiden Bilder symbolisieren unterschiedliche Logiken der Ökonomie. Die Fenstergitter vor dem Juwelierladen thematisieren die Zentralität des Tauschwerts: Eigentum und Ausschluss von Gebrauchsgütern, die Angewiesenheit auf Geld zur Konsumteilnahme sowie den Zweck des Verkaufs als private Aneignung von abstraktem Reichtum. Demgegenüber steht der Bücherschrank für eine reine Orientierung am Gebrauchswert, bedingungslos und ohne Zugangsbeschränkung. Die Gabe durchbricht die Wertäquivalenz und es entsteht keine Schuld.
„Das Geld ist nicht eine Sache, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis.“ Karl Marx 1977 (1846/48): Elend der Philosophie, MEW 4, Berlin, S. 107.
Geld wird vom Werkzeug zum Selbstzweck: "Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld." Georg Simmel 1930 (1900): Philosophie des Geldes, München und Leipzig, S. 583 f..

Ein Beitrag von: Silvia Krömmelbein


Inszenierung urbaner Konsumkultur

Mithilfe einer umfangreichen Inszenierung des Konsums als oberstes gesellschaftliches ´Credo´ durchdringt die Massenproduktion und Vermarktung von Waren alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens. Auch die private und die kulturelle Sphäre sind vom Konsum fast vollends erfasst und dienen als Anleihe für identitätsstiftende Botschaften, mit denen der Konsummarkt aufgeladen wird. Durch ihre Aufladung mit gesellschaftlichen und kulturellen Werten werden Produkte zu Sinnvermittlern, zum Ausdruck des eigenen Selbst sowie der Zugehörigkeit zu ausgewählten sozialen Gruppen. Konsum befähigt folglich zur Aneignung und Kontrolle bestimmter Symboliken und zur Konstruktion einer gewünschten Identität. Die Konsument*innen stellen dabei nicht nur passive Empfänger*innen dar, sie bringen die symbolische Aufladung zur Entfaltung und reproduzieren ihre Botschaft.
Dabei werden spezifische Geographien hervorgebracht, in denen bestimmte Raum- und Alltagspraxen strategisch erzeugt werden. Konsum ist vom Mittel- zum Selbstzweck avanciert. In ganzheitlich inszenierten Shoppingwelten wird Konsum zum Erlebnis, zur Freizeitbeschäftigung schlechthin. Doch was bedeutet dann ein Ausschluss aus bestimmten Konsumräumen, ein Mangel finanzieller Ressourcen oder ein Verkennen der ästhetischen und symbolischen Bedeutung?

Ein Beitrag von: Falk Künstler


Das Ostend im Wandel – Neubau und Verdrängung

„So geschieht die Aufwertung des Ostends nicht natürlich [...]. Was sich im Ostend tut, ist zuallererst die Folge eines großen Plans der Stadt“.
Mösgen, Andrea; Sebastian Schipper 2017: Gentrifizierungsprozesse im Frankfurter Ostend. Stadtpolitische Aufwertungsstrategien und Zuzug der Europäischen Zentralbank, In: Raumforschung und Raumordnung 75, 2, S. 134.
In Frankfurt wurde bereits vor 32 Jahren der Grundstein für umfassende Gentrifizierungsprozesse im Stadtteil Ostend gelegt. Seit dieser Zeit wurde das Viertel unter der Sanierungsmaßnahme „Ostendstraße“ massiv aufgewertet. So hat sich das von Industrie und Gewerbe geprägte, ehemalige Arbeiterviertel zu einem Wohnviertel für mittlere und vor allem höhere Einkommensschichten entwickelt. Insbesondere seit dem Zuzug der EZB am Osthafen hat sich die Situation gewandelt. So sind zahlreiche Bewohner*innen aber auch Einrichtungen, wie der Kindertreff KidS, von exkludierenden Verdrängungsprozessen betroffen.

Ein Beitrag von: Johanna Waldschmidt


Preungesheim wächst

„Die Aufschlüsselung der Räumlichkeit von Macht-Wissen-Komplexen verdeutlicht, dass räumlichen Anordnungs- und Interventionspraktiken eine besondere Bedeutung bei der Produktion und Stabilisierung von Machtverhältnissen zukommt.“
Marquardt, Nadine; Schreiber, Verena 2015: Geographien der Macht. Für einen integrierten Blick auf Raumproduktionen mit Foucault, In: Europa Regional 21, 2013 (1-2), S. 44.
Ganz Frankfurt umtreibt das Thema Wachstum und damit auch der Bau von neuen Wohnräumen. Nur wo kann gebaut werden und welche Gebäude werden wo und wie realisiert?
Wie sieht ein Stadtteil aus, der bereits gewachsen ist und sich in seiner mit Wohnraum bebauten Fläche beinahe verdoppelt hat?
Der ‚Frankfurter Bogen‘ ist eine in sich geschlossene Neubausiedlung, die mit ihren Quadratmeterpreisen in einem starken Kontrast zu dem bisherigen Wohnraumbestand in Preungesheim steht. Auch die kulturellen Angebote scheinen auf den ersten Blick sehr ungleich im Stadtteil verteilt zu sein. Dazu kommt der gewaltige Komplex der JVA Preungesheim, der auch optisch den Stadtteil prägt und teilt. Wie schlagen sich diese Einflüsse in der materiellen und sozialen Struktur des Stadtteils nieder? Welche Grenzen der Raumaneignung werden errichtet und wie werden diese sichtbar?

Ein Beitrag von: Laura Bruch


Obdachlosigkeit in Frankfurt am Main

„Die Ästhetisierung öffentlicher Räume [ist] ein Mittel im interurbanen Wettbewerb zur Aufwertung des Standorts. Ziel ist es, durch Verdrängung oder Beseitigung vermeintlich störender Elemente, wie obdachloser Personen oder Drogenkonsument/inn/en ein ungestörtes Konsum- und Geschäftsklima zu schaffen.“
Petzold Tino 2009: Geografien der Obdachlosigkeit in Frankfurt am Main - Zur Frage der räumlichen Materialisierung der Rechtsform gegenüber Obdachlosen, Bachelorarbeit, Goethe Universität Frankfurt, S. 19.
„In einem ständigen Suchprozess sind die Obdachlosen darauf zurückgeworfen, Nischen für ihr Überleben zu suchen. [...] Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main konnte gezeigt werden, dass es eine Vielzahl von Versuchen gibt, solche Produktionsnischen auszulöschen. Da Obdachlose jedoch zwingend auf diese angewiesen sind, implizieren solche Versuche nicht allein eine Vernichtung von Raum, sondern eine Vertreibung und Vernichtung von Obdachlosen selbst.“ Ebd., S.18.

Ein Beitrag von: Franziska Berns; Bilder: Franziska Berns, Raka Alexander Korngiebel


S-Bahn-Stationen in Frankfurt – Spiegeln sie die Ungleichheit wieder?

Im Frankfurter Sozialbericht werden alle Stadtteile in soziale Cluster eingeteilt. Gegenübergestellt werden Bilder von S-Bahn-Stationen aus Stadtteilen der Kategorien „stark armutsgefährdet“ (Frankfurter Berg) bzw. „leicht armutsgefährdet“ (Galluswarte) und „bessergestellt/verdichtet“ (Rödelheim/Taunusanlage). Überprüft werden sollte, ob sich diese hinsichtlich des Alters, der Ausstattung und Verfassung oder der Erreichbarkeit und Lage unterscheiden. Hierbei lässt sich beispielsweise feststellen, dass die veraltete Station „Frankfurter Berg“ im Unterschied zu „Rödelheim“ keine große Überdachung hat, auch der Zugang zum Gleis wird teilweise nur durch eine enge kleine Unterführung möglich gemacht und ist in „Rödelheim“ größer und offener gestaltet, was die Nutzung angenehmer und komfortabler macht. Die „Galluswarte“ verfügt über eine  Überdachung  und Rolltreppen, allerdings sind  keine Aufzüge vorhanden. Die Station „Taunusanlage“ ist noch  relativ neu und verfügt über ein modernes Erscheinungsbild.
Durch die exemplarisch ausgewählten Bilder soll gezeigt werden, dass armutsgefährdete Stadtteile auch eher die älteren und weniger gut ausgestatteten Stationen haben. Doch ist dies im gesamten Stadtgebiet der Fall? Und trifft dies auf alle Kriterien einer bedürfnisorientierten Ausstattung der Stationen zu? Erst eine breite systematisch vergleichende Begehung und die Perspektive der Nutzer*innen kann darüber Aufschluss geben.

Ein Beitrag von: Lennard Arnold


(Un-)Sicherheit und Kontrolle im Frankfurter Bahnhofsviertel

„Städte sind mitunter unsicher, aber nicht für Jede(n) überall in der gleichen Weise“.
Rolfes, Manfred 2017: (Un-)sichere Stadt. Vom Umgang mit Risiken und Gefahren in urbanen Räumen, In: Krusche, Jürgen (Hg.): Die ambivalente Stadt. Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Raums, Berlin, S. 59.
Dieses Zitat von Manfred Rolfes trifft insbesondere für das Frankfurter Bahnhofsviertel und die diversen Lebensrealitäten der Menschen zu, die in diesem Viertel anzutreffen sind. Auf den beiden Bildern lassen sich unterschiedliche Formen der Sicherheit bzw. des Mangels dieser sowie der Kontrolle finden. Sie weisen auf divergierende Bedeutungen dieser Begriffe für die einzelnen Menschen hin und thematisieren, dass „Sicherheit“ nicht pauschalisiert werden kann.
So ist beispielsweise der Lebensalltag der obdachlosen Person im Viertel im Vergleich zu dem der Arbeitnehmer*innen weitaus stärker von Unsicherheit geprägt und geht mit unterschiedlichen Umgangsweisen und Reaktionen auf diese Situation einher. Zugleich erzeugt eine restriktive Ordnungspolitik nicht einfach „Sicherheit“, sondern die Verdrängung von sich in unsicheren Lebenslagen befindlichen Menschen.


Die Sichtbarmachung von Diskriminierung im öffentlichen Raum

Städtische Öffentlichkeit impliziert „Orte zu haben, an denen kulturelle und soziale Widersprüche deutlich werden und zur Sprache kommen können“.
Schäfers, Bernhard; Kunz, Alexa 2016: Soziologie der Architektur und der Stadt, Bd. 2, Wiesbaden, S. 153.
Es bedarf der Aufmerksamkeit und Anteilnahme, um Prozesse der Diskriminierung und Exklusion im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Dies betrifft die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart.
Diese Gedenkstätte erfüllt die Funktion, an die im Holocaust ausgelöschte jüdische Gemeinde zu erinnern. Ein solcher Ort symbolisiert die vernichtenden Folgen von Antisemitismus und Rassismus, wenn er gepflegt, genutzt und wahrgenommen wird. Auch gegenwärtige Formen von Rassismus und Diskriminierung bedürfen des öffentlichen Protests an Orten, an denen sie Teil einer kommunikativen Praxis werden können. Veränderung kann durch eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung herbeigeführt werden.

Ein Beitrag von: Madita Hardegen


"Stadt für Alle"


Das Plakatbild greift den Slogan „Stadt für Alle“ auf, der von verschiedenen Initiativen in großen Städten genutzt wird, um auf für die Bevölkerung problematische Entwicklungen hinzuweisen, wie Gentrifizierung und Segregation, das Absterben öffentlicher Räume (Kommerzialisierung, Privatisierung, Kontrolle) oder die Ausgrenzung spezifischer Personengruppen aus dem Stadtleben u. a. aufgrund ihrer sozialen Lage oder ethnischen Zugehörigkeit. Inspiriert von Henri Lefebvres „Recht auf Stadt“ wird dabei nicht nur die Forderung der Partizipation aller an städtischen Ressourcen erhoben, sondern eine kollektive Produktion und Aneignung des Urbanen angestrebt, die nicht von kapitalistischen Kalkulationen und staatlicher Kontrolle bestimmt wird.
Dies ist wiederum nicht als imaginärer Möglichkeitsraum einer idealen Welt zu sehen, sondern als Resultat einer Praxis, die an den Alltag, an bestehende Strukturen städtischen Daseins anknüpft und zugleich emanzipatorisch über diese hinausweist. Wir haben verschiedene Facetten und Ambivalenzen dieser Forderung aufgegriffen – als Beitrag und Förderung des Diskurses über eine Stadtentwicklung, die sich am Gebrauchswert Stadt für ihre Bewohner*innen orientiert.
* Zentrale Aussagen aus einer nicht standardisierten schriftlichen Befragung Studierender in einem arbeitssoziologischen Seminar 2017

Bilder: Charlotte Brandes, Friedrich Leo Klingmann, Silvia Krömmelbein, Johanna Waldschmidt
Gestaltung und Layout: Lis Breuer-Glasner, Silvia Krömmelbein


Fotografische Perspektiven im Diskurs - wer fotografiert wen und wozu?

Das Zusammenspiel dieser Bilder öffnet die kritische Reflexion der methodologischen und diskursiven Voraussetzungen sozialdokumentarischer Fotografie. Das obere Bild symbolisiert eine Realität sozialer Ungleichheit, indem es der exkludierenden Konsumgesellschaft das Phänomen der Obdachlosigkeit gegenüberstellt. Zitat von Antoniu* (Person links oben):
„Wenn du Geld…, dann gut! Wenn nicht…, dann raus!“
Im mittleren Bild wird diese Inszenierung aus einer unbetroffenen Perspektive mittels einer kollaborativen Gegeninszenierung der betroffenen Perspektive kontrastiert, um der positivistischen Tendenz des dokumentarischen Anspruchs entgegenzuwirken und wie im unteren Bild die fotografische Situation als Betrachtungsgegenstand hervorzuheben. So sollen das asymmetrische Machtverhältnis und die soziale Distanz zwischen Fotograf*in und potentiell objektivierten Fotografierten thematisiert werden.
“A documentary aware of its own artifice is one that remains sensitive to the flow between fact and fiction. […] Meaning can [therefore] be political only when it does not let itself be easily stabilized and, when it does not rely on any single source of authority, but rather, empties it, or decentralizes it.” Minh-Ha 1991: The Totalizing Quest of Meaning, In: Trinh T.; Minh-Ha (Hg.): When the Moon Waxes Red. Representation, Gender and Cultural Politics, London/New York, S. 39, 41.

Mein Dank für die Zusammenarbeit geht an Antoniu* und Melina* (links und rechts im oberen Bild, Namen anonymisiert) und die kritische Ethnologin Sherin Striewe.

Ein Beitrag von: Mathis Wittenhaus


Ausstellungsbegleitendes Kommentarbuch