Interview mit Gunther Hellmann zur Bad Homburg Conference 2020

"Ein Bruch zwischen Europa und den USA hätte gravierence Auswirkungen."

Veröffentlicht am: Donnerstag, 01. Oktober 2020, 11:24 Uhr (10-01)

UniReport: Herr Prof. Hellmann, die Konferenz in Bad Homburg fand nur wenige Monate vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl statt. Viele Menschen nicht nur in Deutschland machen sich große Sorgen, dass die Wahl (unabhängig vom Ausgang) die vorhandenen Konflikte in den USA noch vergrößern könnte. Wurde auf der Konferenz insgesamt diese Sorge bestätigt? Hätte eine Eskalation der politischen Auseinandersetzung in den USA Auswirkungen für die Demokratie weltweit?

Gunther Hellmann: Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Konferenz. Und in der Tat: im Moment ist schwer zu sehen, welche Entwicklungen in den kommenden Wochen und Monaten, vielleicht sogar Jahren, dazu beitragen könnten, dass diese Polarisierung abnimmt. Dies gilt unabhängig davon, wer die anstehenden Präsidentschaftswahlen wie auch die Kongress-Wahlen gewinnt — wobei schon die Tatsache, dass berechtigte Zweifel bestehen, ob sich in einem überschaubaren Zeitraum überhaupt ein wechselseitig anerkannter Gewinner der Präsidentschaftswahlen herausschälen wird, auf das Ausmaß der Krise verweist. Insofern lassen sich derzeit nur sehr wenige Silberstreifen am Horizont erkennen. Das gilt nicht zuletzt für alle Nicht-US-Staatsbürger, die lediglich von außen zuschauen können, von den Konsequenzen des Ausgangs der Wahlen aber ebenfalls betroffen sein werden.

Dass sich die Demokratie der USA nach knapp vier Jahren Trump als weit weniger robust erweist als viele Experten angenommen haben, muss uns allen zu denken geben. Mit Donald Trump hat sich ein neuer Typus populistischer Politiker in einer als gefestigt erachteten Demokratie durchgesetzt. Er hat seinen Sieg ziemlich ungehemmt genutzt, um die bisher geltenden Spielregeln des politischen Systems außer Kraft zu setzen bzw. zu seinen Gunsten neu auszulegen. Mehr noch, die Verdrängung des regelgeleiteten demokratischen Konfliktaustrags durch die gezielte Anheizung der Polarisierung hat einer Verrohung des gesellschaftlichen Umgangs Vorschub geleistet, an der die USA noch Jahrzehnte zu tragen haben werden. Dass unsere europäischen Demokratien in dieser Hinsicht leider auch nicht immun sind, ist bereits zu beobachten, auch in Deutschland

Europa steht heute nicht mehr im Zentrum der Weltpolitik, das Dreieck USA, China und Russland hat sich zum bestimmenden Kraftfeld entwickelt. In dem von Ihnen moderierten Panel der Konferenz ging es um „Transatlantic Security and Foreign Policy under Stress“. Kann das transatlantische Bündnis nochmal die Bedeutung erlangen, die es einmal hatte? Was würde gar eine Trennung von den USA für Europa bedeuten? Wird auch ein Präsident Biden an dem Prinzip „America first“ festhalten?

Die Zeiten, in denen geradezu eine transatlantische Dominanz globaler Politik zu beobachten war, dürften vorbei sein. Damit möchte ich nicht behaupten, dass dieses Beziehungsgeflecht im globalen Kontext nicht auch weiterhin bedeutsam sein könnte. Aber wenn, wird es die weltpolitische Entwicklung mit ziemlicher Sicherheit in gänzlich anderer Weise beeinflussen als dies in der Vergangenheit der Fall war. Ein Bruch zwischen den USA und Europa hätte gravierende Auswirkungen, vor allem im Hinblick auf den inneren Zusammenhalt der Europäischen Union. Dieser ist bereits derzeit prekär und dürfte in einem solchen Fall vor allem deshalb zusätzlichen und vielleicht sogar existenziellen Belastungen ausgesetzt sein, weil angesichts wachsender deutscher Macht ein altes „deutsches Problem“ europäischer Politik in neuer Form zu seiner Belastungsprobe werden könnte. Anzeichen einer Deutschland-kritischen Positionierung von EU-Regierungen bzw. anti-deutsche Stimmungen bei unseren Nachbarn lassen sich seit längerem vernehmen, sind durch das ruhige und bedachte Auftreten von Bundeskanzlerin Merkel bislang aber aufgefangen worden. Wie der wahrscheinlich männliche Nachfolger von Frau Merkel mit ihrem Erbe, der Last einer für unsere Nachbarn nach wie vor recht präsenten deutschen Geschichte und den in Ihrer Frage unterstellten zusätzlichen Belastungen in den transatlantischen Beziehungen umgeht, wird von enormer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union und Deutschlands Sicherheit sein.

Ein möglicher Präsident Biden wird auch für die Europäer nicht die guten alten Zeiten zurückbringen. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass die Anforderung, die ein solcher Präsident an die europäischen Verbündeten stellen würde, im Vergleich zu Trump deutlich anwachsen. Auf dem Podium gab es in dieser Hinsicht wenig Dissens. Die zukünftige Entwicklung der NATO und die Art und Weise, wie sich Europa und die USA einzeln und gemeinsam gegenüber China verhalten, werden die Gradmesser für die weitere Entwicklung der transatlantischen Beziehungen sein.

In allen Panels wurde die Bedeutung der Kultur im transatlantischen Verhältnis hervorgehoben. Welche Dimensionen von Kultur wurden dabei angesprochen, inwiefern sind diese auch politisch bedeutend?

In der Tat spielt die Kultur eine enorme, häufig unterschätzte Bedeutung im transatlantischen Verhältnis. In allen drei Panels wurde ihre Bedeutung sowohl am Beispiel der Literatur, des Films und der Filmindustrie, aber auch dem, was man die „westliche Zivilisation“ nennt, stark ins Zentrum gerückt. Europäer und Amerikaner teilen bei allen Differenzen immer noch ein gemeinsames kulturelles Erbe, das insbesondere in den Werten der Aufklärung oder der Bedeutung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt.

Betont wurde allerdings auch, dass unsere Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks beträchtlichen innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen ausgesetzt sind. Polarisierung und populistische Aufwallungen sind ja nicht nur ein Problem der USA, sondern auch überall in den Demokratien der EU zu beobachten. Politisch bedeutsam ist dies nicht nur für die Stabilität unserer jeweiligen politischen Systeme und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern eben auch für das transatlantische Verhältnis insgesamt.

Zur Form der diesjährigen Bad Homburg Conference: Wie ist Ihrer Meinung nach der Mix aus Präsenz und Online angenommen worden, hat sich die (physische) Abwesenheit von Diskutanten auf die Diskussion ausgewirkt?

Die hybride Form der Austragung dieser Konferenz war auch für mich ein Novum. Soweit ich das überschauen und beurteilen kann, hat das alles gut geklappt. Die aktive Beteiligung aus dem Internet hielt sich zwar in Grenzen, aber abgesehen davon, dass man die gesamte Konferenz über Youtube auch im Nachgang noch ansehen kann, haben die Veranstalter mit dieser Form ein größeres Publikum erreicht als dies in einer reinen Präsenzveranstaltung möglich gewesen wäre. Insofern würde ich aus dieser Erfahrung die Schlussfolgerung ziehen, dass bei vergleichbaren Rahmenbedingungen solche hybriden Formate auch in Zukunft möglich sein sollten, da die einschlägigen Hygieneregeln gut einzuhalten waren und auch eingehalten wurden.

Fragen: Dirk Frank

Das Interview ist eine Vorabveröffentlichung aus dem UniReport 5/2020, der am 2. Oktober erscheint.


Die diesjährige Bad Homburg Conference „Europa. USA. Geteilte Zukunft?“ / „Transatlantic Futures. Shared or divided?“ fand am 18. und 19. September 2020 im Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität statt. Internationale Expertinnen und Experten analysierten das belastete Verhältnis zwischen den USA und Europa und diskutierten mit der Öffentlichkeit. Den Keynote-Vortrag hielt der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington Dr. Klaus Scharioth. Drei Podiumsdiskussionen am zweiten Konferenztag setzten thematische Akzente: Über die Rolle der transatlantischen Populärkultur diskutierten Ellen Harrington (Deutsches Filmmuseum), Vinzenz Hediger (Goethe-Universität), Verena Lueken (Autorin), Ruth Mayer (Universität Hannover) und Johannes Völz (Goethe-Universität) als Moderator. Mit dem Populismus und den damit verbundenen Gefahren für demokratische Lebensformen befassten sich Paula Diehl (Universität Kiel), Claus Leggewie (Universität Gießen) und Jason Mast (Forschungsverbund „Normative Ordnungen); moderiert wurde von Till van Rahden (Montreal). Gunther Hellmann leitete die letzte Diskussion über die transatlantische Sicherheitspolitik; es diskutierten Michael Kimmage (Catholic University of America, zugeschaltet aus Washington), Omid Nouripour (Mitglied des Deutschen Bundestags), Constanze Stelzenmüller (Brookings Institution, zugeschaltet aus Washington) und Lora Anne Viola (FU Berlin). Eröffnet wurde die Konferenz mit Grußworten vom Bad Homburger Oberbürgermeister Alexander W. Hetjes, dem Vizepräsidenten der Goethe-Universität Rolf van Dick und dem Direktor des Forschungskollegs Humanwissenschaften Matthias Lutz-Bachmann.

Wegen der coronabedingten Einschränkungen konnten leider nur wenige Interessenten an der Konferenz vor Ort teilnehmen. Die gesamte Konferenz wurde daher gefilmt und die Videos stehen nun auf dem Youtube-Kanal des Kollegs zur Verfügung. Anknüpfend an die Konferenz plant des Direktorium des Forschungskollegs unter Federführung seines Mitglieds Johannes Völz den Aufbau eines Forschungsschwerpunktes zur Entwicklung der transatlantischen Beziehungen. Weitere Informationen zur Konferenz: http://www.forschungskolleg-humanwissenschaften.de/